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Und ich wollte immer in die Großstadt: Ein Plädoyer für’s Leben auf dem Land

Ich habe sie geliebt! Die Zeit, in der der jetzige Ehemann in Toronto lebte und ich ihn so oft es nur ging besuchen kam. Untergetaucht in einer Millionen-Metropole, das “Condo” im 13. Stock des wohl zentralsten Wohngebäudes Downtown. Vom Wohnzimmer aus schweifte mein Blick auf Banken und Wolkenkratzer, zur anderen Seite auf den See und die Harbour-Front. Ich erinnere mich an Stunden, die ich durch die Straßen streifte. Während der Freund arbeitete, verbrachte ich meinen Urlaub damit, mir hippe Szene-Cafes anzuschauen, in den stylischten Läden zu shoppen und mit tief herunter gezogener Mütze (es waren -18 Grad) durch Toronto’s Queen-Street zu flanieren.

Ich liebe diese Stadt noch immer über alles und möchte irgendwann wieder dort hin.
Zu unseren Freunden und zum alten Leben. Auf Besuch und mit allen drei Kindern!
Doch ist sie aktuell nicht mehr mein Leben. Sie ist nicht mehr unser Leben oder gar das der drei Kinder. 

Denn wir wählten für diese drei wunderbaren Menschen ein ganz Anderes:

Das Leben auf dem Land.

Und fröhlich winkend kommt sie mir entgegen. Umarmt mich und sprinted im Anschluss genauso schnell wieder davon, wie sie aufgetaucht ist. Das Mädchen aus der Schul-AG, die ich wöchentlich anbiete. Ich kenne hier fast alle namentlich. Alle Kinder, die gerade auf dem Schulhof spielen, während ich die Kleinste in den Kindergarten begleite. Und es fühlt sich gut an. Es sind die Freunde und Freundinnen, Spielkameraden und Mitschüler meiner Kinder. Beim Einkaufen sei mir gewiss, stets ein bekanntes Gesicht zu treffen.
Ein netter Plausch wäre stets garantiert.
Ja, man kennt sich. Hier auf dem Land.

Wenngleich die Straße, in der wir wohnen offiziell noch zum Innenstadtbereich gezählt wird. Es ist mir bis heute nicht ganz einleuchtend, wie ein solch kleiner Ort den Titel Stadt tragen kann. Mir kommt’s ein bisschen seltsam vor, da eben selbst weit entferntere “Dörfer” als Stadtteil gelten. Aber so ist’s hier eben halt. Alles ein bisschen anders, aber auf seine ganz eigene verrückte Art liebenswert.

Zu Beginn war mir alles ein wenig unheimlich.

Als wir uns entschieden hatten, die beiden Kinder und das, welches noch kommen sollte, auf dem Land groß zu ziehen. Kein Einkaufszentrum weit und breit, keine Fußgängerzone zum entspannten Flanieren, kein schickes Szene-Cafe. Ja, selbst die zwei größten und bekannten Discounter sind lediglich im sieben Kilometer entfernten Nachbarort vorzufinden. Ich überlege es mir mittlerweile dreimal, flattert eines dieser Werbe-Prospektchen in’s Haus, ob ich mich nun tatsächlich in’s Auto hocke und Angebote mit Benzinkosten gegenrechne oder einfach gleich beim Versand-Giganten bestelle. Wo ich ja mittlerweile auch alles bekomme!

Der Postbote duzt mich mittlerweile.

Eine kurze Weile hatte ich schon die Befürchtung falsche Hoffnungen zu wecken, muss dieser doch tatsächlich täglich an die Türe (Klingel immer noch nicht vorhanden) klopfen und Päckchen bei der Muddi abliefern. 😉
Ich habe seit Jahren kein Einkaufszentrum mehr betreten. Das, was ich früher müde bei Anderen belächelte, ist bei mir zur Routine geworden: Das Online-Shopping.
Umkleide? Kenn’ ich nicht mehr!

PicsArt_09-18-08.43.39Blicke ich nun aus dem Fenster, sehe ich Felder und Wiesen.

Statt die Kulisse unzähliger Kinofilme (für alle die’s nicht wissen: Toronto ist DIE Filmstadt).
Doch mir gefällt es mittlerweile. Dieses Friedliche! Diese Vertrautheit.
Im Freibad habe ich beispielsweise die beruhigende Gewissheit, dass fast immer jemand da ist, den ich kenne und den insbesondere die Kinder kennen! Sofort weiß ich meine Kinder in Gesellschaft und aufgehoben und im Zweifelsfall immer eine helfende Hand an meiner Seite.
Ganz davon abgesehen, dass Eintritts-Preise für Freizeiteinrichtungen jeglicher Art (sofern vorhanden 😉 ) hier noch relativ erschwinglich zu sein scheinen.
Zumindest habe ich mir dies von der Hürther Schwägerin sagen lassen.
Von den Grundstücks-Preisen einmal ganz abgesehen…

Jeder weiß alles über Dich und jeder redet über jeden.

Auch das ist kein Klischee, sondern eine Tatsache beim Leben in einer Kleinstadt. Das bekomme ich selbst am eigenen Leib zu spüren, seitdem ich diesen Blog habe. Es erfordert womöglich noch sehr viel mehr Mut eine Eltern-Bloggerin vom Land zu sein, als einer der unzähligen Familien-Blogs deutscher Großstädte! Selbst der kleinste Fehltritt, eine einzige ungeschickte Äußerung und Formulierung macht garantiert bereits am nächsten Tag die Runde und regt heftigste Diskussionen an. Unter dem Mäntelchen der Anonymität kann ich mich hier leider nicht verstecken. Und muss noch viel dazu lernen. Beispielsweise dass Stinkefinger-Posts auf Instagram vielleicht in der Großstadt von Authentizität, Ausdruckskraft, Stärke und Mut zeugen, auf dem Land aber ein NoGo sind! 😉
Denn während es möglicherweise die Nachbarschaft der Altbauwohnung am Prenzlauer Berg  mit einem Achselzucken hinnehmen würde, muss ich nun um den Ruf meiner Kinder fürchten. Ich fürchte darum, dass meine Kinder von Lehrern oder Erziehern strenger oder kritischer behandelt werden aufgrund eines Fauxpas der eigenen Mutter. Oder gar Spiel-Verabredungen ausbleiben.
Dann kann das Leben auf dem Land auch verdammt hart sein.

Und dennoch bin ich froh, meine Kinder hier wohlbehütet und sicher aufwachsen sehen zu dürfen!

Ich kann sie sich hier frei bewegen lassen! Die große Wiese vorm Haus lädt zum Spielen und Streunen ein. Ab und an dürfen wir Kühe und Kälbchen direkt vorm eigenen Gartenzaun bewundern. Die Kleinste hatte zeitweilig ihr eigenes Huhn auf dem örtlichen Bauernhof  und jeden Samstag genießen meine Töchter Natur und Idylle pur beim Reiten durch Felder und Wiesen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich die mittlere Tochter auf dem Nachhauseweg von der Schule verirrt ist ebenfalls als relativ gering einzustufen. 😉

Sicher vermisse ich es ein klein wenig, ganz alleine anonym durch Menschenmassen zu ziehen. An neblig-verregneten Tagen die Ablenkung in überfüllten Einkaufspassagen zu suchen, jederzeit ein nettes Restaurant oder 3D-Kino in meiner Nähe zu wissen.  Gedankenverloren in der U-Bahn zu hocken und mir die Kohlenstoff-Luft des U-Bahn-Schachtes um die Nase wehen zu lassen. Die verschiedensten Menschen und Nationalitäten, die interessantesten Kulturen. Dies alles vereint in nur einer Stadt?
Das alles hatte mich schon immer zutiefst fasziniert.

Doch es passt einfach nicht mehr! Dies ist nicht mehr mein Leben!

Als Mutter dreier Kinder, die hier glücklich sind, wo wir nun einmal gerade sind:
Inmitten im Grünen und unter Freunden!

Ganz gleich ob Eure Kinder auf dem Land oder in der Großstadt aufwachsen:
Habt es alle schön, dort wo Ihr seid!

Alles Liebe, 

Eure

Alex

 

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Schön und sehr persönlich geschildert, wie es einen zwischen quirliger Großstadt und dem Wunsch nach ländlicher Freiheit hin- und herreißen kann. Eine Frage, die wohl jeder nur für sich ganz allein beantworten kann.

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