“Wofür?”
nuschelt das verschlafene Kind neben mir im Bett.
Und ich kann ihr die Frage gar nicht verdenken.
Ich habe bereits die Jalousien hochgefahren, Sonnenstrahlen fallen sanft auf das zarte Gesicht und lassen wilde Locken goldblond glänzen. Äuglein sind noch dicht hinter langen Wimpern verschlossen und Wangen glühen rosig ob der heimeligen Bettwärme.
Ich möchte das Kind wecken und erhalte jene Frage auf meine Aufforderung, jetzt aufzustehen.
Ja, wozu dieser Tage aufstehen?
Nicht selten ertappte ich mich selbst während der vergangenen Wochen, hörte mich gedanklich genau diese Frage stellen.
Wenn doch nix und niemand so wirklich auf einen wartet?
Wenn ein blödes Virus, der unsichtbare “Feind”, den wir weder sehen noch (be-)greifen können, in der Welt “da draußen” sein Unheil treibt?
Warum und Wofür dann sollten wir überhaupt die warmen Federn verlassen?
Treffender könnte die Frage der Kleinsten neben mir im Bett also gar nicht sein.
Plagten mich nicht sogar am Abend zuvor selber solche trübseligen Gedanken.
Und erst kürzlich schrieb ich doch darüber, wie sehr ich mich vor Exit-Plänen, “Lockerungen” – und dem Drang, möglichst schnell wieder in die Normalität zurückzukehren – fürchte!
Auch dass ich Schritte als voreilig und unbedacht, wenn nicht sogar fahrlässig (!) empfinde.
Das sehe ich immer noch so!
Bald wieder Schule? Ernsthaft!?
Ich habe Bauchschmerzen bei dem Gedanken, meine mittlere Tochter muss bereits Ende April als Viertklässlerin die Schule wieder betreten. Noch kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll!
Und ja, das ängstigt mich!
Aber ich muss auch andere Seiten sehen.
Denn schließlich geht es nicht nur um die meine Gefühlswelt, sondern die aller Familienmitglieder.
Beide Töchter müssen in diesem Frühjahr mit einer ganz besonderen Zeit abschließen können!
Gedanklich und emotional.
Bleibt ihnen dieses Erlebnis, dieser reifende Vorgang verwehrt, so werden Fragen immer offen bleiben.
Und jeder Schritt nach vorne schmerzt vielleicht beim Gedanken an die verpasste Chance.
Die Chance auf einen angemessenen Abschied.
Die mittlere Tochter steht kurz vor dem Übergang zur weiterführenden Schule, die Kleinste fiebert der Einschulung entgegen.
Während die mittlere Tochter also auf die fünfte Klasse vorbereitet werden soll, bleiben Kitas weiter geschlossen.
Aus der Traum vom Vorschulkind?
Das ist auch richtig und sinnvoll so!
Für Kita-Öffnungen ist es viel zu früh!
Und dennoch liefen gestern Nacht, als alle bereits tief und fest schliefen, Tränchen die meinen Wangen herunter.
Wie stolz war mein kleines Mädchen, nun endlich zu den Vorschul-Kindern zu gehören!
Welch tolle Aktionen geplant waren und auf sie warteten!
Vorschulkind im Kindergarten zu sein ist ein Privileg, der krönende Abschluss vieler gemeinsam verbrachter Kita-Jahre.
Schultüten-Basteln, Erste-Hilfe-Kurs, Vorschul-Projekte, das große Abschiedsfest – es wird mir jetzt erst bewusst, dass es für mein kleinstes Kind möglicherweise bis zum Tag der Einschulung “kein Programm” mehr geben wird.
Wofür also aufstehen?
Wir haben noch uns!
Weil es immer noch uns als Familie gibt!
Und wunderschönstes Frühlings-Wetter!
Und eine Mama, die ab heute offiziell “frei” ist!
Meine häusliche Isolation endet nach negativem Testergebnis heute, das Fahrrad ist repariert und geputzt – und einem gemeinsamen Fahrrad-Ausflug mit den Mädels soll nichts im Weg stehen!
Endlich möchte ich wieder an den geliebten See!
Dieses Mal ausnahmsweise nicht in Laufschuhen, sondern gemeinsam mit den Mädels auf den Zweirädern!
Kurz nach dem Mittagessen packe ich also eiligst den Rucksack, denn urplötzlich sind gleich zwei Mädels heiß wie nie auf die geplante Fahrradtour.
Und bevor sie sich bereits auf der Schotterstraße vorm Haus auspowern, gilt es schnell zu sein – und für das Vorhaben alles stehen und liegen zu lassen.
(Zu Corona-Zeiten interessiert es ohnehin niemanden, finden die Teller vom Mittagessen erst gegen Abend ihren Weg in die Spülmaschine)
Ich packe als planen wir einen mehrtägigen Wander-Ausflug.
Ihr kennt das sicherlich.
Viiiel Wasser für ebenso viele Trinkpausen, Taschentücher, das Erste-Hilfe-Set mit Spray und Pflastern, die Banane in der Bananenbox, welche selbstverständlich nur als Alibi mir selbst gegenüber transportiert wird, Nüsse, Müsliriegel, Fertig-Waffeln und Marshmallows.
Zur Erinnerung:
Wir verlassen unseren Wohnort kaum – wir fahren nur um den heimischen See!
Doch weiß ich eben, wie die Brut bei Laune zu halten ist! 😉
Wir machen einen Fahrrad-Ausflug!
Wenig später bläst uns warm der Fahrtwind um die Nase und ich fühle mich unbeschreiblich frei!
Nach Wochen des Daheim-Seins.
Mehr als das:
Ich bin unendlich stolz!
Denn es klappt!
Die Kleinste fährt das erste Mal auf dem größeren Mountain-Bike und bis auf einen kurzen Disput, weil ich die Dreistigkeit besaß, für beide Mädels ein und dieselbe große Trinkflasche zu füllen (“Iiiiih da hat DIE doch draus getrunken!!”), geht alles gut!
Leider ist es mir fast schon ein bisschen zu voll hier am See, so dass die Sache mit dem Abstand einem Spießrutenlauf gleicht.
Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen und lassen uns im Gras nieder, um meinem Rucksack ein wenig die Schwere zu nehmen und Bäuchlein mit Wasser – und dem ganzen anderen Kram – zu füllen.
Selbstzufrieden sehe ich die Mädels neben mir im Gras hocken, vergessen sind trübselige Gedanken ob all der Dinge, die nun verpasst werden.
Nie sonst würden wir an einem gewöhnlichen Alltag zusammen eine Fahrradtour machen.
Immer wäre etwas und käme etwas dazwischen, das eben jenes Vorhaben im Keim erstickt.
Und das ist schön!
Es ist sogar wahnsinnig kostbar!
Und definitiv mehrerer Wiederholungen wert!
(Die Mädels wissen allerdings noch nichts von ihrem Glück 😉 )
Und es ist es wert, dafür aufzustehen!
So wie jeder Tag, an dem wir uns haben!
Eure
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