Samstag-Abend. Ein Hauch von Gras liegt überall in der Luft. Er begegnet uns immer wieder,…
Du fehlst!
“Es geht ihr zur Zeit eigentlich ganz gut!”
Ich erinnere mich noch genau an jenen Nachmittag Ende November.
Als wir bei den Eltern zu Besuch waren und ich mich innerlich ob der gerade gehörten Aussage auf meine Frage entspannt lächelnd zurück lehnte.
Damals, vor nunmehr einem ganzen Jahr.
Ich glaubte mich beruhigt und in einer trügerischen Sicherheit, verließ mich auf die naive Sichtweise, das Leben planen zu können.
Dass dem nicht so ist – und nichts in unserem Dasein für selbstverständlich oder gar fix verlässlich anzusehen ist – weiß ich nicht erst seit Corona, sondern schon seit langer, langer Zeit.
Und mehr denn je seit dem verflixten, letzten Jahr – welches für mich persönlich so viel trüber und dunkler ausfiel als dieses von allen so sehr verteufelte Jahr 2020.
Ich fühlte mich also sicher, damals am Küchentisch meiner Eltern.
Glaubte, noch Zeit zu haben.
Keine 48 Stunden später…
…sollte mich eine Textnachricht, welche mich ausgerechnet vor der Kühltheke des hiesigen Discounters erreichte, all’ meiner Illusionen berauben – und nicht nur meine kleine Welt, sondern auch mich Minuten später zu Hause zusammensacken lassen.
Liebe R.,
ich dachte wirklich, ich hätte noch Zeit.
Ich plante meinen Besuch bei Dir, zusammen mit der Mutter, zu einem Zeitpunkt, an welchem ich längst hätte Abschied nehmen müssen.
Doch wusste ich das nicht.
Nicht einmal Du schienst das erahnen zu können.
Weißt Du, ich denke viel an Dich in letzter Zeit.
Beinahe sogar ein bisschen mehr, als ich es zu Deinen Lebzeiten getan hatte – und das tut mir im Nachhinein so unendlich leid.
Als würde der Tod nicht für immer trennen, sondern auch eine Bindung wieder aufleben lassen.
Nur eben in etwas anderer Form.
Wir hatten uns ein wenig verloren für eine Weile, denn entwickeln sich Leben in gänzlich unterschiedlichen Richtungen, ist es nicht immer einfach, eine innere Verbundenheit aufrecht zu halten.
Gerade dann, wenn das jeweilige Leben des Anderen schmerzt.
Wenn Wege sich trennen
Du bekamst Deine Krebsdiagnose genau in jenem späten Herbst, zu welchem ich von dem winzig-kleinen, schlagenden Herz in mir erfuhr – und unsere Pfade konnten ab da an nicht unterschiedlicher sein.
Denn während Du Jahr für Jahr ums Überleben kämpftest – und ich bewundere Dich so sehr für diesen großen, starken Willen – durfte ich das Leben spüren.
Ganze dreimal.
Doch vergessen habe ich Dich darüber nie!
Kindheitserinnerungen
Oft denke ich an unbeschwerte Tage in meiner Kindheit zurück.
Das alte, marode Haus der Oma, in welchem ich auch Dich so oft besuchte.
Dinge, und Menschen, die nicht mehr sind, verlorene Stückchen Heimat.
Gerade einmal sechszehn Jahre älter warst Du mir stets ein Vorbild und bist es bis heute geblieben.
Ja, ich hatte Dich bewundert!
Mit all’ den wunderschönen Dingen, die du besessen hattest, den hübschen Schuhen im Regal, den großen Kaugummi-Blasen, welche Du mir zeigtest – und der unbegrenzten Fernseh-Zeit, die ich auf Deiner Couch in der kleinen Wohnung unterm Dach haben durfte.
Ich erinnere mich noch heute an die Hochzeit, zu welcher ich Blumen werfen durfte und die vielen Feuerwehr-Männer in dunkler Uniform, welche im Spalier standen – und mich so sehr gruselten.
Ich glaube, das war ein bisschen auf dem Foto im Wohnzimmer der Oma auch zu sehen.
Meinst Du nicht? 😉
Eine wunderschöne Frau
Ich erinnere mich an die schöne Frau, die in mir gewiss nicht nur (kostspielige) Vorlieben aufkeimen ließ (der Schuh- und Handtaschen-Tick kommt schließlich nicht von ungefähr!), sondern mir auch bis zuletzt zeigte, dass Frau sich niemals gehen lassen sollte!
Ganz gleich in welcher Phase wir uns gerade befinden und wie hart es das Leben mit uns meint.
Und insbesondere auch, dass Frau sich nicht unterkriegen lassen sollte, schon einmal gar nicht von einem Arschloch wie Krebs.
Wir haben nicht allzu oft telefoniert, im letzten Jahrzehnt, doch habe ich immer verfolgt, wie es Dir geht!
Ich durfte beobachten und lernen, dass es gilt, auch in dunklen Zeiten das Leben zu genießen und zu feiern, solange es noch geht.
Das ist Dir bis zuletzt gelungen.
Ich weiß, ich sollte nicht so denken, doch bin ich nun bald in jenem Alter, in welchem Du Deine niederschmetternde Diagnose erhalten hast.
Und doch habe ich ebenfalls gelernt, dass eine Diagnose noch nicht gleich den sofortigen, sicheren Tod bedeutet.
Das Leben hat Dich nie als alte, faltige Großmutter vorgesehen, so sollte es einfach nicht sein – und ganz gewiss gingst Du viel zu jung!
Doch waren Dir auf der anderen Seite außergewöhnlich viele Jahre noch geschenkt!
Und Hey! Immerhin bist Du um “Kackorona” herum gekommen! 😉
Vor ein paar Wochen erhielt ich einige sehr wunderschöne Erinnerungsstücke an Dich.
Jedes sicherlich mit einer ganz eigenen Geschichte, die Du mir nun nicht mehr erzählen kannst.
Ich konnte sie lange Zeit nicht anfassen und anschauen, zu sehr schmerzte die Erinnerung und zu sehr fragte ich mich, welche dieser Geschichten jedes einzelne Stück mir wohl zuflüstern könnte.
Welche Beweggründe Du hattest, welchen Trost und welche Freude sie wohl spendeten.
Doch weißt Du was? Ich bin jetzt soweit.
Ich werde Erinnerungen an Dich mit Stolz tragen und in der Familie halten, sie nicht vergessen und achtlos für immer in die dunkelste Ecke der Schublade schieben.
Ganz genau so, wie ich Deinen Namen voller Stolz trage.
Der (Zweit-) Name, der mich begleitet, wann immer ich reise, der auf den ganz wichtigen Papieren aufzufinden ist – und mich daran erinnert, welch bedeutsame Rolle Du doch in meinem Leben spieltest – und es auch heute noch tust!
Es tut mir leid, dass dies für eine gewisse Zeit in den Hintergrund geraten war.
Weil so viele andere Dinge vermeintlich “wichtig” waren, weil das eigene Leben sich immer schneller drehte und die ganz eigene Familie so sehr forderte.
Weil Menschen oftmals nur sich selbst und ihr eigenes, kleines Universum wahrnehmen und weil so viele Dinge ungesagt bleiben.
Aus Furcht, aus der dummen Annahme, noch warten zu können.
Solange, bis es zu spät ist – und Stimmen für immer verstummen.
Du gingst zu Zeiten der Besinnlichkeit und auch in diesem eigenartigen Jahr werden wir wohl viel nachdenken und innehalten.
Ich für meinen Teil werde gerade in den kommenden Wochen meine Kinder ganz gewiss das ein- oder andere Mal zu viel drücken, wir haben uns und das soll mir genügen!
Denn solange wir leben, solange wir sind, ist nichts wirklich schlecht!
Du fehlst!
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