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You’ve got Mail: Nathalie

Freitag, früher Morgen. Ich habe ein Problem mit Nathalie.
(*Name von der Autorin geändert) 😉

Ich kenne sie nur von einem Profilbild, und doch kann ich mir vor meinem geistigen Auge ein ganz genaues Bild von ihr machen.
Der Nachname lässt auf polnische Immigranten schließen. Vielleicht nicht sie selbst, aber womöglich ihre Eltern. Nathalie, geschätzt Mitte fünfzig, trägt mit Vorliebe gediegene, furchtbar langweilige Kleidung. Beige Stoffbluse, ohne jegliche Verzierung zur Kaki-farbenen Bundfaltenhose. Sicherlich kombiniert mit weißen Socken in Gesundheits-Sandalen, um den Hals die schwere Kette, irgendein Familien-Erbstück. Die Frisur ist mittellang, aschblond und praktisch mit Pony gehalten. Selbstverständlich trägt Nathalie Lippenstift, weil sich das für eine ordentliche, gepflegte amerikanische Frau gehört.

Und sie will von mir hören! Alsbald!

Denn ich muss mich leider mit Nathalie, die vermutlich so ganz anders ist als ich sie mir vorstelle, verbinden. Eines meiner derzeitigen Projekte wegen. Sie möchte Mail! Von mir! Oder noch besser, möchte sie Aktivitäten sehen. Im Online-Classroom. Und mit diesem Wissen, geplagt von unendlichen Schuldgefühlen, die letzten Wochen not so much in jener Angelegenheit erreicht haben zu können (wie auch mit drei Kindern!?), beginne ich diesen Tag.
Der so schön werden könnte. Strahlend blauer Himmel, die Sonne blitzt durch die Jalousien. Dieser Tag hätte wirklich Potential ein Guter zu werden.

Doch ich muss mich ja heute kümmern.
Gleich nachdem ich die Kinder in Schule und Kita gebracht habe, muss ich zu meiner Ausbilderin fahren um endlich Nägel mit Köpfen zu machen und den Verlauf meines weiteren Praktikums zu planen. Kaum habe ich die Kleinste in der Kita abgegeben, fällt mir allerdings auf, dass ich noch diverse Dokumente, Zettel und Unterlagen für eben jenes Gespräch benötige und fahre erst noch einmal nach Hause, um dies alles zu besorgen. Ich werde mich also verspäten, was einen roten Faden der absoluten Hetze durch den Tag zur Folge haben wird.
Aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

PicsArt_04-21-11.52.38Zwanzig Minuten später sitzen zwei Frauen grübelnd und fachsimpelnd vor Leitfäden, Vorgaben und Ablaufplänen.
Der noch zu bewältigende Berg ist immens und  ich schlucke in Anbetracht dessen wirklich schwer. Zum Glück wird dieses armselige Geräusch durch das noch viel lautere Magen-Knurren übertönt. Für Frühstück war selbstverständlich wie immer keine Zeit gewesen. Zwei Stunden hocken wir da zusammen. Es ist mittlerweile elf Uhr Vormittags und die Mittlere wird innerhalb der nächsten halben Stunde bereits wieder Schule aus haben! Ich muss also dringendst fahren, um bis dahin wieder zu Hause zu sein (immerhin läuft mein Kind heute) und zuvor noch etwas einigermaßen Vernünftiges für’s Mittagsmahl zu besorgen.

Und stehe, und warte. Eine gefühlte Ewigkeit an der Frischfleisch-Theke des Supermarktes. An welcher neuerdings Nummern gezogen werden.
Ein kleines Nümmerchen für ein bisschen blankes Fleisch! 😉
Ich zähle sechs weitere Kunden vor mir! Noch immer habe ich nichts im Magen (passiert mir öfter mal – unfreiwilliges Intervall-Fasten ;)) und muss mich dringendst der immerhin zwei hastig in mich hineingeschütteten Tassen Kaffee entledigen.
Mit Blick auf’s Handy fange ich an nervös zu zittern. Gleich wird mein armes Kind zu Hause vor verschlossener Türe stehen!

Während ich bezahle und im Affenzahn nach Hause sause, fällt mir Nathalie wieder ein: Ihr MUSS ich heute noch mailen! Dinge müssen geklärt werden und das schnell! Gegen mich läuft die deutsche Zeit, denn nach dieser hätte die gute Dame bereits in spätestens vier Stunden schon wieder Feierabend. Für mich arbeitet die amerikanische Zeit! Sechs Stunden Zeitunterschied extra nur für mich. Dass selbst diese für mich zum Problem werden könnten ist mir ebenfalls zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

Nach einer weiteren Taxifahrt zu Schule und Kita sowie einem nicht weniger eilig zubereiteten Mittagessen, möchte ich die Sache endlich angehen. Und kann es nicht. Zwei weitere geschlagene Stunden versuche ich verzweifelt mich nochmals durch Unterlagen zu wühlen und die passenden Worte auf Englisch zurechtzulegen. Ich brauche unübertrieben zwei (!) Stunden für einen Sechs-Zeiler inklusive vier Aufzählungs-Punkten!

“Dear Nathalie,”

“Mamaaaa!?!” die Haustüre öffnet sich und die Kleinste, eben noch erfolgreich zum Kuchenbacken im Sandkasten überredet, hat Durst.

“As you may have noticed….”

“Maaamaaaa!!!!”
Die Kleinste möchte mit den Großen im Trampolin hüpfen, was ihr allerdings vom Gatten und mir untersagt ist. Zu gefährlich bei Kindern unterschiedlichen Alters und Gewichtsklassen!
Wie immer versucht sie nun, eine nicht enden wollende Diskussion mit mir zu starten.

“I am now finally (DAS sollte ich lieber weglassen) preparing for the practicum ….”

“Hi! Mama! Wo ist meine Kappe und ich hab solchen Durst!”
Die Mittlere möchte umgehend versorgt werden.

“I am planning to teach lesson….”

Es klopft an die Fensterscheibe. (Zur Erinnerung: Wir besitzen keine Klingel!)
Entnervt stöhne ich auf und laufe zur Haustüre! Bekomme jedoch umgehend jeglichen Wind aus den Segeln genommen, denn vor der Türe steht die liebe Nachbarin und Freundin mit einem verspäteten Geburtstagsgeschenk für mich! Eierlikör mit einer Mischung zum Eis-machen! Hach! Ein Lichtblick in einem ohnehin schon hellen und heißen Frühlingstag!

Endlich! Die Mail ist fertig und in die unendlichen Weiten von Gmail geschossen! Hoffentlich hat die liebe Nathalie so unendlich viel um die Ohren, dass mit einer Antwort heute nicht mehr zu rechnen ist!

Was folgt ist ein erneuter Wettlauf gegen die Zeit. Hausarbeit in Überschallgeschwindigkeit. Die schockierende Feststellung, nun während dem ganzen Mail-Gedöns auch noch den Gitarren-Unterricht der Mittleren vergessen zu haben, lässt mich kurz gefrustet auf den Fussboden hocken.
Shit! Die Schiene ist ja seit drei Tagen NICHT mehr am Finger, dieser somit längst genesen und eigentlich wieder einsatzfähig!
Noch dreißig Minuten und der Große muss zum Fussballspiel. Ich fange an, dumme Mails an irgendwelche lieben Menschen (die nicht Nathalie heißen) zu schreiben. Das tue ich immer, wenn ich gestresst bin und der Tag suboptimal verläuft. Einige Sekunden der Ablenkung und Entspannung. Klingt bescheuert. Ist aber so! 😉

Natürlich lasse ich mich später auch noch auf dem Fussball-Feld blicken.
Das habe ich dem Großen versprochen. Ihr wisst schon, heftigst winken und Interesse zumindest zeigen. Doch heute möchte ich dem Spiel tatsächlich mal folgen. Das gelingt mir immerhin für geschätzte sieben Minuten. Dann kommt die Kleinste vom Spielplatz zurück gesprintet. Einmal “Durst” und “muss mal”. Groß. Die Wiese zur schnellen Zwischenlösung kann ich mir hier also abschminken, das Sportlerheim muss her. Letzten Endes habe ich weder eine Minute des Spiels verfolgen können, noch weiß ich (wie so oft) den Endstand.
Auf dem Heimweg, es ist mittlerweile längst Abend geworden,  vibriert mein Hintern.

You’ve got Mail! Von Nathalie.
Mist verdammter! Kann ich es sonst nicht leiden, antworten mir Menschen nicht sofort und umgehendst auf Nachrichten, welche ICH als wichtig kategorisiere, könnte mir eben jene Rückantwort getrost gestohlen bleiben!

Ich beschließe am heutigen Abend dieses “Problem” mit Pizza-Sauce zu übertünchen und im späteren Feierabend-Bier gnadenlos zu ertränken!
Die liebe Dame aus dem “Bibel-Club” (ein weiteres von mir im Geiste geschaffenes Bild) muss warten. Bis Montag ganz gewiss!

Euch allen ein schönes und vor allem entspanntes Wochenende!

Eure

Alex

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. […] ich bin ja ein klein wenig enttäuscht. Von Nathalie (* Name von der Autorin geändert). Nathalie, der ich monatelang die herzallerliebsten Mails geschickt habe. Die adrette Dame in Stoffhose und […]

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