Es ist Sonntag-Abend, 21 Uhr und somit im Grunde fast schon zu spät, um dieses…
Drei Beine
Samstag-Nachmittag. Draußen hat es gerade begonnen zu regnen.
Doch kommt mir der Regen gerade recht. Ja, ich will jetzt raus! Will laufen. Ganz alleine die Runde um den Lieblings-See drehen. Denn fast muss ich ein ganz kleines bisschen zugeben: Leichtes Regenwetter ist mir manchmal sogar ganz lieb zum Laufen.
Denn dann bin ich wirklich alleine!
Kann Gedanken schweifen lassen, die feuchte Luft in mich aufsaugen und den nassen Asphalt und Waldboden unter den Füßen spüren. Ohne Ablenkung oder gar wertende Blicke der üblichen Wochenend-Spaziergänger.
Denn wer Gedanken ordnen muss, Lösungen und Ziele sucht, für den sei ein solches Lauf-Wetter genau das Richtige, wage ich zu behaupten.
Und so schnüre ich die Schuhe und renne los. Atme und konzentriere mich auf meine zwei realen Beine, die mich nun hoffentlich zuverlässig führen werden. Und beginne über diese anderen “Beine” zu sinnieren. Die, die da auch noch sind.
Ich stehe aktuell nämlich auf drei Beinen!
Zugegebenermaßen es sind drei kurze, Mini-Stand-Beine, die mir aber sehr viel Beschäftigung, etwas Reputation und ein kleines Taschengeld für die Haushaltskasse ermöglichen.
Nicht viel, aber ein kleiner Beitrag, ein Teil von mir. Drei Beine, die mich nicht “nur” Hausfrau und Dreifachmutter (oder noch immer beurlaubte Bankkauffrau) sein lassen, sondern viel mehr als das. Die mich fordern und ausfüllen, mir Abwechslung bieten und teilweise als Mutter von drei Kindern auch an meine Grenzen bringen. Sowohl organisatorisch als auch zeitlich und nervlich.
Nur dummerweise läuft es sich auf drei Beinen gar nicht so gut.
Und während ich auf zwei gesunden Beinen die Runde um den See drehe, beginnen meine Gedanken zu brodeln, strömen und fließen. Haben endlich Raum und sind nicht mehr zu bremsen.
Wie verhält es sich mit diesen drei Beinen in meinem Geiste eigentlich?
Nun, eines davon lässt mich vor Freude hüpfen, voller Energie und Enthusiasmus, neuen Ideen und Begeisterung durch’s Leben tanzen!
Es beflügelt mich und ist mir derzeit das Liebste. Das, welches gepflegt und hin und wieder aufgehübscht wird. Das, welches die vollste und meiste Aufmerksamkeit bekommt und mich noch lange tragen und halten soll! Und ohne den zwei anderen Beinen jetzt hier einen Namen geben zu wollen verrate ich nun an dieser Stelle:
Ja, ich schreibe hier eindeutig von diesem Blog! 😉
Ich möchte noch so viel mehr Energie und Zeit hierfür aufbringen!
Ich will so gerne richtig durchstarten und nicht ständig enttäuscht feststellen müssen, dass nur noch wenige (Zeit-) Reserven übrig sind. Dass Gedanken und Ideen zurückgehalten werden müssen, weil gerade einfach kein Raum dafür ist.
Ein weiteres Bein hält mich fest auf dem Boden der Tatsachen, fordert mich geistig, ist ebenfalls eine willkommene Abwechslung und Herausforderung. Auch dieses Bein bereitet mir Freude, weil ich es mir aus freien Stücken angefertigt und ausgesucht habe. Weil es meines ist, aus den eigenen Ideen entspringt und ich bereit bin, dieses ebenfalls zu trainieren und zu stärken. Noch mehr Muskeln aufzubauen und es möglichst lange am Laufen zu erhalten! Weil es mich wunderbaren jungen Menschen begegnen lässt und gleichzeitig für eine gute Idee und Sache steht! Weil mich die Vorbereitungszeit, die ich hierfür investiere, erfüllt und sie sich auszahlt.
Und dann ist da dieses dritte Bein.
Das, welches ständig ein wenig schmerzt und hinkt. Das, welches mir Kummer und Magendrücken bereitet und die anderen beiden Beine ausbremst. Das, welches sich den anderen Beiden ein ganz kleines bisschen in den Weg stellen möchte, ebenfalls sehr zeitintensiv ist und die anderen Zwei im Zweifel sogar stolpern lässt!
Das, welches irgendwie nicht zu mir gehört. Nicht meins ist. Nicht mit und an mir gewachsen! Nicht die gleiche Leidenschaft, das selbe Herzblut erhält, wie die anderen beiden Beine. Das Bein, dem irgendwie keine Hose, kein Schuh so recht passen will. Das, welches selbst an Stolper-Steinchen hängen bleibt und an Bedingungen scheitert.
Es hört auf zu regnen. Und als ob mir der Himmel ein Zeichen geben möchte, schieben sich Wolken beiseite.
Meine Gedanken fliegen weiter. So wie es immer ist beim Sport:
Glücksgefühle schieben dunkle Schatten beiseite und lassen den Kopf Gedanken und Ziele klarer definieren! Ich möchte mich von einem gedanklichen Schatten trennen, der stets präsent ist. Denn ich frage mich nun, ob ich das schwerfällig hinkende Bein überhaupt noch benötige.
Ob ich es denn wirklich noch will?
Erst gestern sprach ich mit dem Gatten darüber und er nannte mir ein sehr schönes Zitat. Eigentlich ist es kein Zitat, es ist vielmehr ein kleiner Fetzen, ein Ausschnitt aus dem alten Song “Raus” von den Fantastischen Vier. Und wenngleich die behandelte Thematik in jenem Song eine völlig Andere ist, so sind diese zwei Zeilen ziemlich zutreffend. Daher möchte ich sie hier einmal kurz zitieren:
“…tappt blind durch Dein Kopflabyrinth bis es Dich aus dem
Takt bringt und die Tatsachen nackt sind…”
Ja, manche Gedanken tappen und geistern blind und ziellos durch das eigene geistige Labyrinth. Sie verirren sich und drehen sich im Kreis. Immer und immer wieder.
Es ist ein langer Prozess. So lange eben, bis die Tatsachen nackt und die Gedanken plötzlich ganz klar sind!
Denn eigentlich sind sie das meistens schon lange. Auch bei mir. Nur habe ich mich vehement bemüht, die Augen zuzukneifen. Ich wollte nicht “aufgeben” und einfach aufhören. Wollte es nicht wahrnehmen. Mir eingestehen, dass mir eines der drei Beine gar nicht so gefällt und statt Glück stets dieses unangenehme Gefühl im Bauch aufkommen lässt. Dieser leicht bittere Beigeschmack, der nur schwer runterzuschlucken ist. Das Bein, welches mich beim Gatten jammern und die Kinder entnervt anpflaumen lässt.
Ich mag es eigentlich gar nicht mehr haben. Trau’ mich nur nicht so richtig, es zu beseitigen. Weil so etwas immer weh tut! Irgend jemandem. Weil eine abrupte Amputation niemandem gefällt, überrascht, enttäuscht und immer Veränderungen mit sich führt. Und schnellstmöglichst nach neuen Lösungen verlangt.
Doch fälle ich hier ganz alleine am See gerade eine Entscheidung.
Ich möchte Nein sagen und an mich und meine Familie denken!
Ich werde den Stein (wenn auch mit einem weinenden Auge) in’s Rollen bringen und nicht mehr nach passendem Beinkleid und Schuhwerk für jenes dritte Gliedmaß suchen. Weil’s einfach nicht passt. So leid es mir nun tut.
Nachdenkliche Grüße,
Eure
ein Text, der zum Nachdenken anregt, toll ?? lg Emily