Es ist Sonntag-Abend, 21 Uhr und somit im Grunde fast schon zu spät, um dieses…
Jeder Tag ein Neuanfang – Corona-Tagebuch – Tag 5
Heute will ich nicht gerne aufstehen.
Es ist warm und schön im Bett und für einen kurzen Moment scheint alles in bester Ordnung.
Die Welt scheint in Ordnung und in diesem winzigen Augenblick wie immer.
Und würde ich jetzt einfach in den warmen Federn bleiben – es verlangt ja gerade eh niemand nach uns – dann könnte das ja vielleicht auch gelingen!
Das mit den Scheuklappen und der Schönrederei.
Doch da war ja die Sache mit der Struktur und Regelmäßigkeit.
Der Plan mit dem zeitlichen Rahmen.
Dinge, die wir für uns beibehalten wollten – und welche gerade jetzt unheimlich wichtig sind, zudem immensen Halt geben!
Noch immer stehe ich Tag für Tag morgens vorm Badezimmer-Spiegel, schlüpfe in Jeans und Oberteil, frisiere die Haare und schminke mich.
Auch, wenn ich die eigenen vier Wände nicht verlasse.
Ich mach’s für mich. Für das Gefühl der Normalität.
Glücklicherweise tue ich das schon immer so, ganz gleich ob man als Mama mit Kindern gar nicht rauskommt.
In der Jogginghose, blass und zottelig fühle ich mich weniger produktiv und wertvoll – ohne nun Fragen bezüglich des eigenen Selbstwertgefühls aufwerfen zu wollen!
(Ich erschreck’ mich halt sonst immer so, blicke ich ungeschminkt in den Spiegel! 😉 )
“Der Witz des Tages”
erscheint auf dem Alexa-Display am Nachttisch.
Daneben das Tränchen-lachende-Emoji.
Und ich muss ob der Ironie schmunzeln.
Klar lachen wir noch oft und herzhaft am Tag, albern und scherzen.
Aber möchte ich gerade jetzt so begrüßt werden? Mit dem Witz des Tages?
Oder soll es genau in solchen Tagen so sein?
Vermutlich.
Ein ganz normaler Morgen?
Ich soll der mittleren Tochter Kleidung heraussuchen (auch die Kinder ziehen sich nach wie vor gleich nach dem Aufstehen an) und fische ein hübsches hellblaues Longsleeve aus dem Schrank.
“Best friends forever”
steht darauf in silberner Schrift, umrandet vom Herz.
Und wieder fühle ich mich gerade ein klitzekleines bisschen verarscht.
Überlege, den Pulli ganz schnell wieder in den hintersten Ecken des Schrankes der Tochter verschwinden zu lassen.
Denn ihre besten Freunde? Darf meine Tochter gerade nicht treffen.
Sehen ja, per Video-Chat und hören und schreiben – aber das ist nicht dasselbe!
Was mir die Kinder in den vergangenen Tagen alle Tränen-reich und frustriert zu verstehen gaben.
Und es tut mir so weh und leid.
Muss aber nun einmal so sein.
“Viel Glück”
sagt die Tasse, welche ich zufällig aus dem Geschirrschrank nehme.
Brauchen wir Glück oder Vernunft?
Muss ich mich unweigerlich fragen, als ich auf die Taste der Kaffee-Maschine drücke.
Das Glück haben wir nicht mehr in der Hand, doch lassen sich mit etwas mehr Verstand und Vernunft (ok, sooo viel mehr von Beidem!!!) ganze Unglücke verhindern!
(Wann kommt endlich die nötige Holzhammer-Methode – die Ausgangssperre ?!)
“Fehler 30″
sagt die Spülmaschine wenige Minuten später.
Auch beim zweiten Versuch, nach dem Reset, tut das veraltete Gerät keinen Mucks!
Der gefühlte Super-Gau zu Zeiten, in denen fünf Personen rund um die Uhr im Haus hocken – und vor lauter Gelegenheiten kochen, essen – und Unmengen an Geschirr verdrecken!
Oder doch alles zum Heulen?
Und schon jetzt könnte ich das erste Mal des Tages heulen.
Weil ich doch so gerne Normalität leben möchte! So gut es nun einmal dieser Tage geht!
Dies ist jedoch nur möglich, kann ich mich auf die Funktionalität der normalen Alltags-Dinge verlassen!
Und auf die erleichternde Bequemlichkeit, welche diese gerade jetzt (!) bieten!
Fünfundzwanzig Minuten also nach dem Wecker-Klingeln wünsche ich mir nichts sehnlicher, als heute einfach liegen geblieben zu sein!
Ich laufe durch’s Treppenhaus und sehe die vielen Bilder aus glücklichen Zeiten, die da hängen.
Und die beiden Sterbe-Bildchen, welche sich innerhalb von Monaten leider dazwischen mogelten.
Und muss sanft und milde vor mich hin lächeln.
Menschen, welche ich jetzt so gerne angerufen hätte und über die Surrealität der aktuellen Lage gelacht hätte.
Gedanklich fange ich an zu kommunizieren.
Lache und sage, wie nützlich es doch ist, dass sie “diesen Scheiß” jetzt nicht auch noch mitmachen können.
Denn ich wäre aktuell weder gerne Neunzig Jahre alt, noch Krebspatient.
Aber ist es heute Morgen wirklich alles scheiße?
Noch immer sehe ich die Situation auch als Chance.
Als Neuanfang für alle.
Die neue Freiheit
Noch immer genieße ich die Zeit mit den Kindern so sehr.
Ohne Termindruck, ohne ständig irgendwo sein zu müssen – und die Kinder gegebenenfalls aus dem vertieften Spiel zu reißen.
Das habe ich im Alltag immer gehasst, um ehrlich zu sein.
Noch immer fühle ich mich ein klein wenig frei.
Frei von Gedanken bezüglich der beruflichen Zukunft und vor allem frei vom steten Rechtfertigung-Zwang!
Denn jetzt gerade?
Zählen diese dummen Streitereien und der Wettbewerb unter Müttern nicht.
Jetzt gerade ist das weit weg – und mit etwas Abstand als so banal und albern zu belächeln!
Wir besinnen uns auf einfache Dinge, erfreuen uns an der Natur, die gerade endlich wieder erwacht – und sich klammheimlich über die Entschleunigung der Menschheit freut.
(Und vermutlich zutiefst aufatmet)
Im Laufe des Vormittags steht fest, die Spülmaschine ist tatsächlich im Arsch!
Doch auch das kann ich (noch) belächeln.
Back to the basics – Hände-einschäumen ist ja gerade ohnehin das neue Schwarz! 😉
Wieder aufstehen lohnt immer!
Fünf Tage Homeschooling (irgendwie ein blödes Wort) liegen nun ebenfalls hinter uns.
Erstaunlicherweise verbunden mit derzeit relativ geringen Problemen.
Wie selbstständig Schüler arbeiten können, wenn es gerade nicht anders geht!
Ich sehe den Sohn Zeitpläne aufstellen und Arbeitsanweisungen der Reihe nach abarbeiten und abhaken – nur wenig muss ich Hilfestellung geben.
(Meist jedoch hat er einfach nur die Aufgabenstellung nicht richtig gelesen – wer kennt’s? 😉 )
Und die Tochter wurstelt ganz selbstständig im Stillen vor sich hin.
Vielmehr gehe ich wohl den Kindern auf den Senkel mit meinem steten Fragen und Drängen “ob ich nicht vielleicht doch helfen soll”.
Und wir machen Vorschularbeit!
Wäre gar nicht nötig, hat sich aber in den letzten Tagen als willkommenes Ritual für mich und die Kleinste herausgestellt.
Während die Großen Schularbeiten machen, bereite ich der Kleinsten Aufgaben vor, welche sie mit Eifer (und heraushängender Zunge) erledigt.
Die Sonne bleibt!
Als wolle sie uns alle mental unter die Arme greifen und die Seele mit Licht und Hoffnung kitzeln, strahlt die Sonne Tag für Tag vom Himmel.
Einmal mehr freuen wir uns über unseren Garten und schmieden bereits jetzt gedanklich Pläne.
Stellen uns auf einen langen Sommer zu Hause ein und suchen Trost-bringende Alternativen (vielleicht endlich mal die schicken Lounge-Möbel auf der Terrasse?Werden die noch geliefert?) für den immer weiter schwindenden Kanada-Urlaub.
Und irgendwie ist selbst diese Vorstellung schön.
Es gibt immer wieder Alternativen und neue Sichtweisen!
Wir müssen sie wohl nur zulassen und adaptieren!
Und in jeder Situation auch eine Chance sehen!
Und um diese mit wachsamen Augen und voller Energie erkennen zu können, müssen wir nun einmal Eines:
Jeden Tag auf’s Neue aufstehen!
Eure
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